Stellungnahme der AGMÖ zu den Begutachtungsentwürfen der Lehrpläne der Volksschule und Sonderschulen

Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Musikpädagogik Österreich (AGMÖ) zu den Begutachtungsentwürfen
Verordnung des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung, mit der die Verordnung über die Lehrpläne der Volksschule und Sonderschulen geändert und eine Verordnung über die Lehrpläne für Sonderschulen erlassen wird; Bekanntmachung der Lehrpläne für den Religionsunterricht; Begutachtungs- und Konsultationsverfahren.

Geschäftszahl: 2023-0.892.393

Sehr geehrter Herr Bundesminister Ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Polaschek, sehr geehrtes Begutachtungs-Team,

Rhythmik (Rhythmisch-musikalische Erziehung, Rhythmische Erziehung und Musikalisch- rhythmische Erziehung) ist im aktuellen Sonderschullehrplan für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf (Anlage C4) und im aktuellen Sonderschullehrplan für gehörlose Kinder (Anlage C2) seit Jahrzehnten aus gutem Grund verankert. Dass sich in den Begutachtungsentwürfen für die neuen „Lehrpläne für Förderschwerpunkte und Lehrplanzusätze für Förderbereiche“ weder das Fach „Rhythmik“ noch direkte Bezüge zum Fachbereich finden, ist aus fachlicher und pädagogischer Sicht nicht zu vertreten.
Die AGMÖ fordert Sie daher auf, „Musikalisch-rhythmische Erziehung“ wie bisher im Lehrplan der Sonderschule für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf nun auch im neuen Lehrplan Förderschwerpunkt Kognitive Entwicklung (Anlage 3) als eigenständiger Pflichtgegenstand „Rhythmik“ (sechster Teil) und somit in den übergreifenden Themen (vierter Teil) in den Fächerkanon „Musik, Kunst und Kreativität“ neben den Pflichtgegenständen Musik und Kunst & Gestaltung aufzunehmen. Dies beinhaltet auch einen zu ergänzenden eigenständigen Lehrplantext (achter Teil). Weiters soll „Rhythmik“ wie bisher im Fächerkanon der unverbindlichen Übungen verankert bleiben (sechster Teil).

– Durch die direkte Wirksamkeit von Musik- und Bewegungsanreizen gelingt ein aktiver Beitrag zu den Entwicklungsthemen, wie: den eigenen Rhythmus entwickeln, Beziehung aufnehmen, den Sinn von Handlungen erfahren und ein ganzheitliches Erfahren des eigenen Körpers und seinem Bezug zur Umwelt. (erster Teil, 1.)

– Rhythmik realisiert die Forderungen der Leitvorstellungen im Sinne eines aktiven Prozesses der individuellen Aneignung kognitiver, sozialer und emotionaler Aspekte. Sie ermöglicht die Erkundung physikalischer Grundgesetze durch die ihr immanenten, wechselwirksamen Mittel Bewegung und Musik. (erster Teil, 4.)

– Durch die situationsangepasste und freie Wahl der Inhalte unterstützt Rhythmik das Beobachten, Erkennen und Berücksichtigen der individuellen Kommunikationsbedürfnisse sowie deren Weiterentwicklung. Der flexible Einsatz der verschiedenen Aneignungsebenen (basal-perzeptiv, handelnd-aktiv, bildlich- darstellend) ermöglicht durch unmittelbare körperliche Auseinandersetzung die Steuerung von Spannungszuständen in Richtung Spannungsausgleich – individuell und gruppendynamisch. (zweiter Teil, 2.)
– Rhythmik unterstützt durch die Sensibilisierung aller Sinneswahrnehmungen den Zugang zum Umgang mit digitalen Medien als unterstützende Kommunikation zur Förderung der Mitteilungsfähigkeit. (vierter Teil, 6.1.)

Wir fordern außerdem, dass „Rhythmisch-musikalische Erziehung“ und „Rhythmische Erziehung“ wie bisher im Lehrplan der Sonderschule für gehörlose Kinder nun auch im neuen Lehrplanzusatz Förderbereich Hören/Kommunikation (Anlage 5) als „Rhythmik“ in den neuen verbindlichen Übungen (sechster Teil) und den spezifischen Übungen (siebenter Teil) verankert bleibt. Zusätzlich soll der entwicklungsunterstützende und fördernde Zugang durch das Verfahren Rhythmik in den ergänzenden Ausführungen (achter Teil) benannt und aufgenommen wird.

– Besonders die allgemeinen didaktischen Grundsätze 1, 2, 5, 6 und 7 (dritter Teil) sind dem Fach „Rhythmik“ immanent. Im wechselseitigen Einsatz von Musik und Bewegung in Verbindung mit Materialien werden durch das Verfahren Rhythmik vielfältige vibratorische Reize und visualisierende Bewegungsgestaltungen angeboten und Zugänge geschaffen, die (non-)verbale Kommunikation, vielfältige Wahrnehmungsleistungen, individuellen Ausdruck, gegenseitige Akzeptanz, Binnendifferenzierung und fächerübergreifendes Lernen ermöglichen. (dritter Teil)

– Die folgenden Originalzitate aus dem Lehrplanzusatz beziehen sich zudem auf spezifische Inhalte, wie sie in der Rhythmik angeboten werden:

Spezifische unverbindliche Übungen/Lernangebote für Schülerinnen und Schüler mit Hörbeeinträchtigung/Gehörlosigkeit wie ÖGS, Spezifische Übungen im Förderbereich Hören/Kommunikation sowie spielerische Sprach-, Hör- und Wahrnehmungsübungen sind bereits in der Vorschulstufe unter Berücksichtigung der besonderen Lernbedürfnisse von Kindern dieser Schulstufe durchzuführen. (fünfter Teil, 4.)
Die sonderpädagogische Förderung innerhalb eines inklusiven Unterrichtssettings stellt einerseits die gezielte Unterstützung der Schülerinnen und Schüler mit einer Hörbeeinträchtigung bzw. Gehörlosigkeit in den Bereichen Hören, Wahrnehmung, Sprache und Kommunikation sowie Identitätsbildung sicher und trägt andererseits zum Abbau von Barrieren im Unterrichts- und Schulalltag wie auch in außerschulischen Settings bei. (fünfter Teil, 5.)

Auf Grund der Relevanz von „Rhythmik“ und ihrer durchgängigen Verankerung als verbindliche Übung in der Vorschulstufe seit 1983 sowie ihrer jahrzehntelangen Verankerung in den oben genannten Lehrplänen der Sonderschule fordern wir weiters, „Rhythmik“ als eigenständiges Pflichtfach und als unverbindliche Übung in alle neuen Lehrpläne mit spezifischen Förderschwerpunkten sowie in alle neuen Lehrplanzusätze zu spezifischen Förderbereichen aufzunehmen:

– Lehrplan Förderschwerpunkt Lernen (Anlage 1)
– Lehrplan Förderschwerpunkt Lernen Sekundarstufe (Anlage 2)
– Lehrplanzusatz Förderbereich Sehen/Blindheit (Anlage 4)
– Lehrplanzusatz Förderbereich emotional-soziale Entwicklung (Anlage 6)
– Lehrplanzusatz Förderbereich Motorik/Bewegung (Anlage 7)

Derzeit werden Studierende des Lehramtes Primarstufe im Bachelor und/oder Master an den meisten Pädagogischen Hochschulen in Österreich in die didaktischen Grundlagen zur Rhythmik eingeführt – in der Grundausbildung und im Schwerpunkt Inklusive Pädagogik. Sie erhalten damit genau jene Kompetenzen, um das Fach „Rhythmik“ in den Schulen zu unterrichten (Vorschulstufe, erhöhter Förderbedarf, gehörlose Kinder) und als unterrichtsimmanentes, fächerübergreifendes und entwicklungsunterstützendes Verfahren einzusetzen. Zudem wird „Rhythmik“ in der Fortbildung für Lehrer:innen an Pädagogischen Hochschulen angeboten und sie ist Teil verschiedener Hochschullehrgänge zur Inklusiven Pädagogik.

Rhythmik/Musik- und Bewegungspädagogik wird seit 1959 an der jetzigen mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien als eigenständiges Studium angeboten (als Bachelor und konsekutiver Master). Absolvent:innen unterrichten unter anderem an Pädagogischen Hochschulen und auch an Pflichtschulen.
Wir ersuchen, das Fach „Rhythmik“ in allen neuen Lehrplänen zu berücksichtigen und zu verankern. Aus den genannten Argumenten resultiert, dass im Besonderen für Kinder mit speziellen Förderbedarfen das seit Jahrzehnten etablierte und wirksam praktizierte Kulturgut Rhythmik beizubehalten ist.

Mag. Dr. Leonore Donat, Präsidentin
Mag. Paul Hönigschnabl, PhD, Vizepräsident
HR Mag. Marialuise Koch, Schriftführerin

Stellungnahme – Download (PDF; 245 KB)

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