Grund- und Menschenrechte in Zeiten der künstlichen Intelligenz - Kommentar von Lisa Seidl

Lisa Seidl, LL.M. ist Kuratoriumsmitglied des Österreichischen Musikrats

Viel wurde in den letzten Wochen von der europäischen Überregulierung künstlicher Intelligenz gesprochen. „USA invents, China copies, Europe regulates“ war oft zu hören. Aus (europäischer) grundrechtlicher Sicht muss das nicht schockieren. Man kann dies (China aus diesem Vergleich ausgenommen) auch weniger als Kritik, sondern auch als Abbild der Funktionsweise von Grund- und Menschenrechten in unterschiedlichen Rechtskreisen verstehen. So wird Recht zwar auf Grundlage von parlamentarischen Mehrheiten gebildet, jedoch sind manche Freiheiten diesen Mehrheiten entzogen – diese nennt man Grundrechte (und Menschenrechte; idF „Grundrechte“ der besseren Lesbarkeit des Textes geschuldet). Alle Gesetze und auch alle staatlichen Organe in ihrer Amtstätigkeit haben diese Grundrechte zu beachten. Es besteht daher zuerst ein geschriebenes (Grund-)recht, dem sich staatliche Organe unterzuordnen haben. In den USA und z.B. auch in England finden wir das sogenannte „common law“ vor. Im Gegensatz zum mitteleuropäischen „civil law“ ist die Funktionsweise eine völlig andere. Gänzlich verschieden von unserem „top down“-Ansatz, funktionieren Grundrechte in „common law“-Ländern: Hier wird ein „bottom up“-Ansatz verfolgt, das bedeutet, Richter entscheiden oft pragmatisch je von Fall zu Fall und aus der Gesamtheit von Regelungen und Richterentscheiden wird ein übergeordnetes Prinzip erst abgeleitet bzw. die Auslegung dessen erst nach und nach erarbeitet. Wen wundert es dann, dass Europa bei Innovationen zuallererst reguliert?

Mit dem Inkrafttreten der KI-VO im letzten Sommer, wurde daher ein Rahmen für die Anwendung von künstlicher Intelligenz geschaffen, der notwendig war. Diese europäische Verordnung steht jedoch nicht im rechtsleeren Raum. Alle schon bestehenden Grundrechte sind weiterhin auch im digitalen Raum anwendbar. Sogar Erleichterung brachte die KI-VO mit sich, da ohne detaillierte Regelungen über so ein komplexes Thema es sehr schwer gewesen wäre, eine im Einklang mit den Grundrechten rechtsichere Anwendung zu ermöglichen. Plakativ gesagt: Europa kann daher nicht wie die USA abwarten, bis Entscheidung nach Entscheidung durch RichterInnen gefällt wurden, ohne damit gravierende Eingriffe in Grundrechtspositionen zu riskieren.

Daher wundert es auch nicht, dass US-amerikanische Unternehmen wie OpenAI erst einmal ihre Anwendungen ohne Zustimmung von RechteinhaberInnen trainiert und diese dann auf den Markt gebracht haben (unter Verweis auf „fair use“-Regelungen). Es müssen sodann Richter entscheiden, wie sich die neue Anwendung in die Rechtsordnung einfügt. Dies macht aus der Sicht des „common law“ auch Sinn. Für europäische RechteinhaberInnen von Urheberrechten jedoch erlebt sich das wie Diebstahl. Dem lässt sich auch schwer widersprechen. Denn auch wenn es keine detaillierten Regelungen im Bereich künstlicher Intelligenz zum Urheberrecht gibt, gelten dennoch alle bisher auf anderen Fallkonstellationen anwendbaren Gesetze sowie Grund und Menschenrechte. Eine unbeschränkte, unvergütete Nutzung von urheberrechtlichen Werken scheint daher absurd. Aber nicht nur das Recht auf Eigentum kann hier betroffen sein: Das Recht auf Privatsphäre bzw. Datenschutz schützt auch personenbezogene Daten, Abbildungen und Stimmen von natürlichen Personen. Zudem könnte durch die Reproduktionen von veralteten Wertvorstellungen Diskriminierung gefördert werden. Nicht zuletzt kann die Meinungs- und Informationsfreiheit betroffen sein, wenn bei Inhalten nicht mehr zwischen wahr oder falsch unterschieden werden kann.

Detail-Regelungen zur Auswahl, zum Einsatz und zur Nutzung von KI sind daher nicht nur notwendig, sondern dringend auch ernst zu nehmen. Nicht umsonst haben die Stadt Wien oder der ORF diese Zeichen erkannt, um auf die speziellen Erfordernisse ihrer Institution zugeschnittene Anleitungen für MitarbeiterInnen bereit zu stellen. So steht bei öffentlichen Institutionen das Legalitätsprinzip, d.h. das Handeln nur im Rahmen der Gesetze, oder das Amtsgeheimnis sicherlich im Vordergrund, während bei öffentlich-rechtlichen Medien wie dem ORF die Verpflichtung zur Überprüfung des Wahrheitsgehaltes von Inhalten sicherlich einen sehr hohen Stellenwert hat. Aktuell steckt diese Entwicklung jedoch noch in den Kinderschuhen. Es wird in den kommenden Monaten und Jahren notwendig sein, dass wir unseren Blick wieder zurück wenden auf die Verantwortung über Grundrechte in der eigenen Institution und weg von den Unkenrufen amerikanischer Konzerne über die Innovationsfeindlichkeit Europas.

Foto (Günther Wildner/ÖMR): Lisa Seidl beim Impulsvortrag – Generalversammlung des ÖMR am 27.2.2025

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