PLÄDOYER FÜR EIN STAATSZIEL KULTUR
Der Österreichische Musikrat tritt dafür ein, den Wert von Kunst und Kultur im „Musikland“ Österreich auch rechtlich zu verankern – durch eine Staatszielbestimmung Kultur in der Bundesverfassung.
Ein Staatsziel Kultur würde eine Stärkung der staatliche Kulturverwaltung und Kulturförderung bewirken, was die Durchsetzung von kulturpolitischen Anliegen erleichtert. Gesetzliche Vorhaben müssten fortan auf ihre Kulturverträglichkeit überprüft werden, was die Bedeutung von Kultur im politischen Alltag signifikant erhöht. Der fortschreitende Rechtfertigungsdruck für staatliche Kulturmaßnahmen würde durch ein Staatsziel vermindert.
Der Jurist DDr. Karl-Gerhard Straßl, MAS, ehemals Präsident des Chorverbands Österreich, hat für das Positionspapier des Österreichischen Musikrats zur Kunst- und Kulturstrategie des Bundes 2022 eine umfassende Stellungnahme zur Ausgestaltung eines solchen Staatsziels Kultur verfasst.
STAATSZIEL KULTUR
von Karl-Gerhard Straßl
1_Ausgangssituation
Österreich versteht sich als Kulturstaat, was sich nicht nur im prunkvollen kulturellen Erbe erschöpft, sondern auch in einer vitalen zeitgenössischen Kultur- und Kunstszene in allen Ausprägungen zeigt. Trotz der relativen Kleinheit ist der Staat Österreich in kultureller Hinsicht eine (zumindest) europäische Großmacht. Dabei scheint jedoch eine Diskrepanz zwischen der faktischen Ebene einer Kulturnation – ausgedrückt in aktivem und innovativem Kulturschaffen, signifikanten Kulturinstitutionen sowie kulturellen Schwerpunkten und Wahrnehmungen – und der juristisch festgelegten bzw. kulturpolitisch gelebten Ebene – sichtbar in rechtlichen Grundlagen bzw. politischen Handlungsweisen – zu existieren:
• Es gibt einige Staatszielbestimmungen in der österreichischen Bundesverfassung, aber keine Staatszielbestimmung hinsichtlich Kultur.
• Es gibt jedoch partiell bzw. regional wirksame Bestimmungen auf Bundesebene, die den Staat in einzelnen Teilbereichen von Kultur im jeweiligen Wirkungsbereich verpflichten.
• Trotz fehlender Staatszielbestimmung ist sich der Staat grundsätzlich der Bedeutung von Kultur bewusst.
2_Staatsziel
Staatsziele wurden in den letzten 40 Jahren international verstärkt in bestehende Verfassungen eingebaut oder in neuen Verfassungstexten berücksichtigt. Internationale ExpertInnen des Verfassungsrechts vertreten oftmals die Ansicht, dass die Verfassungen erst durch diese neuen bzw. modifizierten Texte die gesellschaftliche Wirklichkeit verarbeitet haben. Dadurch offenbare die Verfassung ihre Entwicklungsfähigkeit und ihre unverminderte Lebenskraft sowohl hinsichtlich Normativität als auch Wirklichkeitsnähe.
Grundsätzlich wird unter Staatsziel die verfassungsrechtliche Verankerung von zu berücksichtigen Zielen der staatlichen Tätigkeit verstanden. Staatziele sind somit Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben vorschreiben. Das „Ob“ ist somit verfassungsrechtliche Pflicht, die Art der Umsetzung bleibt hingegen frei wählbar, wenngleich auch andere verfassungsrechtliche Normen diese determinieren können. Durch Konstituierung eines Staatszieles wird eine Angelegenheit, ihrer Bedeutung und Dringlichkeit Rechnung tragend, besonderer Rang zugewiesen.
Staatsziele richten sich immer an das staatliche Handeln in seiner Gesamtheit, das sich in den Ausprägungen Legislative, Exekutive und Judikative manifestiert. Dabei wirken Staatsziele im Wesentlichen als Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber, als Auslegungsrichtlinie für die Verwaltung und als Ermessenkriterium in der Rechtsprechung. Es gibt keine direkten Ansprüche des/r Staatsbürgers/in auf ein gewisses Handeln des Staates, der Staat verpflichtet sich selbst. Während in der Praxis die Wirkung auf die Gesetzgebung von VerfassungsrechtsexpertInnen als eher gering eingeschätzt wird, ist die Bedeutung von Staatszielen für Exekutive und Judikative nach herrschender Meinung nicht unerheblich.
Die österreichische Verfassung ist als Fortsetzung des nüchtern gehaltenen Staatsgrundgesetzes der Monarchie stark vom Rechtspositivismus Kelsens geprägt und als Verfahrensordnung des politischen Prozesses im Sinne eines Grenzziehungs- und Kompetenzverteilungsdenkens gedacht, die aber nicht den Inhalt der Gesetze determinieren sollte. Von dieser ursprünglich wertneutralen Konzeption der österreichischen Bundesverfassung wurde mittlerweile sowohl durch interpretative Aufweichungen im Zuge höchstgerichtlicher Entscheidungen als auch durch neu geschaffene Regelungen des formellen Verfassungsrechts, insbesondere Staatsziele, abgerückt. Es stellte sich dabei nach und nach heraus, dass Themenbereiche, die vom Staat wahrzunehmen sind, im Sinne einer Betonung durch eine unterstützende Normierung in Form eines Staatsziels einer stärkeren Berücksichtigung zugeführt werden können. Daraus resultierte im Lauf der letzten Jahrzehnte eine unsystematische Schaffung einzelner Staatsziele im österreichischen Bundesverfassungsrecht, sodass derzeit bereits 17 Staatsziele in Geltung sind:
• Bildung (Art. 17 Staatsgrundgesetz, 1867)
• Verbot nationalsozialistischer Wiederbetätigung (Staatsvertrag von Wien, 1955)
• Immerwährende Neutralität (BVG Neutralität, 1955)
• Rundfunk als öffentliche Aufgabe (BVG Rundfunk, 1974)
• Umfassende Landesverteidigung (Art. 9a B-VG, 1975)
• Umfassender Umweltschutz (BVG Umweltschutz, 1984 | seit 2013 BVG Nachhaltigkeit)
• Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht (Art. 13 B-VG, 1987)
• Gleichbehandlung von Behinderten (Art. 7 B-VG, 1997)
• Gleichstellung von Mann und Frau (Art. 7 B-VG, 1998)
• Atomfreies Österreich (BVG atomfreies Österreich, 1999)
• Schutz der Volksgruppen (Art. 8 B-VG, 2000)
• Sozialpartnerschaft (Art. 120a B-VG, 2008)
• Tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau bei der Haushaltsführung des Bundes, der Länder und Gemeinden (Art. 13 B-VG, 2009)
• Nachhaltigkeit (BVG Nachhaltigkeit, 2013)
• Tierschutz (BVG Nachhaltigkeit, 2013)
• Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung (BVG Nachhaltigkeit, 2013)
• Forschung (BVG Nachhaltigkeit, 2013)
Somit muss festgestellt werden, dass Kultur verfassungsrechtlich gegenüber einigen anderen Materien benachteiligt ist.
Auf Landesebene haben fast alle Bundesländer Staatsziele in den jeweiligen Landesverfassungen verankert, auch Kultur ist dabei mehrfach vertreten. Im internationalen Kontext sind in den Verfassungsgesetzen zahlreicher (außer)europäischer Staaten sowie auf EU-Ebene Staatszielbestimmungen hinsichtlich Kultur verankert.
3_Soll-Zustand und Auswirkungen
Kultur soll als Staatsziel im Bundes-Verfassungsgesetz verankert werden.
Die Verankerung eines Staatsziels Kultur würde – kurz zusammengefasst – staatliches Handeln und Entscheidungen staatlicher Organe in signifikanter Weise beeinflussen. Ein Staatsziel Kultur könnte insbesondere
• bestehende kulturspezifische Verfassungsnormen in einen sinnvollen Zusammenhang stellen,
• die verfassungsrechtliche Benachteiligung von Kultur beseitigen,
• die Bedeutung von Kultur im politischen Alltag und bei der Ausbildung entsprechender Strukturen erhöhen,
• kulturpolitische Anliegen erleichtern,
• staatliche Kulturverwaltung und Kulturförderung stärken,
• den fortschreitenden Rechtfertigungsdruck für staatliche Kulturmaßnahmen vermindern,
• das Führen staatlicher Kulturbetriebe inhaltlich begründen,
• die (weitere) Verringerung budgetärer Mittel für Kultur im staatlichen Verteilungswettbewerb hinterfragen sowie
• die Überprüfung gesetzlicher Vorhaben auf ihre Kulturverträglichkeit bewirken.
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QUELLE:
Karl-Gerhard Straßl: „Staatsziel Kultur“, in: Kunst- und Kulturstrategie 2022 – Positionen des Österreichischen Musikrats, Wien: 2022, S. 7-8
Eine ausführliche Darstellung und Diskussion dieses Themas ist in der Publikation „Staatsziel Kultur – Bekenntnis zur Kulturnation oder hohle Phrase?“ von Karl-Gerhard Straßl, Facultas 2010, enthalten.